Wanderprediger für Freiland und Freigeld
Zum Andenken
an den Politiker und
Publizisten Fritz Schwarz, 1. Mai 1887 bis 17. November 1958
Ursprünglich war er Lehrer,
dann Sekretär des Freiland-Freigeld-Bundes, Wanderprediger und Publizist.
Von 1934 bis 1958 sass er im Berner Grossen Rat. Er scheint dort immer
mehr die Rolle des liebenswürdigen Sonderlings gespielt zu haben.
Bei jeder Gelegenheit versuchte er, den Herren Grossräten - Frauen
gab es damals in den polischen Institutionen noch nicht - seine Grundideen
zu vermitteln: Kapitalzins sei arbeitsloses Einkommen, sei Ausbeutung
und verwerflich; es sollten keine grossen Kapitalien in privater Hand
festgelegt werden, sondern das Geld solle zirkulieren und allen Wirtschaftssubjekten
gleichermassen zur Verfügung stehen. Auch der Boden dürfe nicht
von Privaten gehortet werden, sondern solle Gemeineigentum sein und den
Privaten nur im Nutzungsrecht zur Verfügung stehen.
Hörte man ihm
zu?
Diese Lehre vom Freiland und vom Freigeld (Freiwirtschaftslehre) wusste
er in allen möglichen Varianten und in seinen späteren Jahren
in immer milderer und versöhnlicherer Form vorzutragen. Hörte
man ihm zu? Manche seiner Kollegen ärgerten sich über ihn, manche
lächelten überlegen und hielten ihn für einen Spinner,
einige brachten ihm Wohlwollen entgegen. Fritz Schwarz stand quer zum
allgemeinen Trend, sein Einfluss als Politiker war sehr beschränkt.
Aber einiges von dem, was er während Jahrzehnten propagierte, entfaltete
mit der Zeit doch eine gewisse indirekte Wirkung, zum Beispiel im Kreis
der Leute, die die «Stadt-Land-Initiative gegen die Bodenspekulation»¹
lancierten, über die wir demnächst abstimmen werden.
Gegen die Bodenspekulation
Als nach dem Zwangsregime des Zweiten Weltkrieges die Wirtschaftsfreiheit
wieder hergestellt und auch die Kontrolle der Landkäufe und -verkäufe
gelockert wurde, begann eine Phase der Hochkonjunktur. Die Bodenpreise
steigen rasch an, während sich das Geld entwertete.
1953 reichte Fritz Schwarz eine Motion zur «Verhinderung der Bodenspekulation»
ein. Darin forderte er den Regierungsrat auf, Untersuchungen darüber
zu veranlassen, wie der Boden in unserem Kanton vor der Spekulation geschützt
und dem Volk zu Stadt und Land als Wohn und Arbeitsstätte dienstbar
erhalten werden könne.
Er erklärte die Bodenspekulation nicht mit dem Gesetz von Angebot
und Nachfrage, sondern sprach davon, wie die Hochkonjunktur das Kapital
vermehre, wie dadurch die Zinsen eine sinkende Tendenz erhielten und wie
darum mehr Kapital in den knappen Boden gesteckt werde. Durch die Wertsteigerung
des Bodens erhielten die Investoren trotz sinkenden Zinsen eine hohe Rendite.
Skepsis der Sozialdemokraten
Die Motion Schwarz löste keine Diskussion aus. Keine der grossen
Fraktionen mochte auf die Sache eingehen auch die Sozialdemokraten nicht,
obwohl sie in der Bodenfrage ähnlich dachten wie Schwarz. Es war
in der SP eine ausgemachte Sache, dass die von Schwarz propagierten Thesen
im Grundsatz falsch waren.²
Schwarz war als junger Sekundarlehrer selber SP-Mitglied gewesen und hatte
versucht, seine von Silvio Gesell übernommenen geld- und bodentheoretischen
Überlegungen im "Volksrecht" unterzubringen. Aber Ernst
Nobs, damals Redaktor am Zürcher SP Blatt, lehnte den Artikel ab.
Das schmerzte Schwarz um so mehr, als Nobs sein Mitschüler am Berner
Oberseminar gewesen war.
Der Widerspruch zwischen SP und Freiwirtschaft vertiefte sich in der Krise
der dreissiger Jahre. Damals versuchten Sozialdemokraten und Kommunisten,
die Arbeiterschaft für den Gedanken der Planwirtschaft zu gewinnen.
Gleichzeitig reisten Fritz Schwarz und seine Mitkämpfer im Land herum
und prangerten die Kapitalisten an, die ihr Geld horteten, weil sie höhere
Zinsen erzwingen wollten. Die vom Bundesrat betriebene Deflationspolitik
(Wertsteigerung des Geldes) unterstütze die Goldhortung, sagten sie.
Deshalb müsse von der bisherigen Goldparität abgegangen und
der Schweizerfranken abgewertet werden. Das Geld müsse in der Volkswirtschaft
zirkulieren wie Blut in den Adern des menschlichen Körpers. Solange
die Kapitalisten das Geld in den Tresoren einsperrten, könne die
Volkswirtschaft nicht gesunden.³
Dieses Bild leuchtete vielen ein; die Freiwirtschafter gewannen eine beträchtliche
Anhängerschaft. Dadurch wurden sie nicht nur dem Bürgertum unangenehm,
sondern auch den Linken. Insbesondere Fritz Schwarz, der immer sein soziales
Anliegen betonte, wurde von den Linksparteien als unerwünschte Konkurrenz
angesehen. Er sah sich zunehmend isoliert.
Lebenslauf
Er musst manche Enttäuschung und Kränkung erlitten haben, aber
er zeigte es kaum; er verpanzerte sich hinter seiner Leibesfülle
und kehrte das gutmütige Äussere des bodenständigen Bauernsohnes
aus dem Emmental hervor.
Fritz Schwarz war als jüngstes von 14 Kindern auf einem Einzelhof
oberhalb von Biglen aufgewachsen, hatte dann das Seminar Hofwil und das
Oberseminar in Bern besucht. 1906 hatte er das Primarlehrerpatent in der
Tasche. In Arni gab er Schule, später in Ostermundigen. Nebenher
bildete er sich an der Universität Bern zum Sekundarlehrer weiter.
1912 wurde er an die Sekundarschule Schwarzenburg gewählt und blieb
dort bis 1918. Dann gab er den Lehrerberuf auf und zog nach Bern, wo er
das Sekretariat des Freiland Freigeld Bundes übernahm.
Zeit der sozialen Gegensätze
Das war so gekommen: Während seiner Schwarzenburger Zeit befreundete
sich Fritz Schwarz mit Dr. Ernst Schneider, seinem einstigen Lehrer am
Oberseminar. Schneider, der 1905 als 27jähriger brillanter Junglehrer
zum Seminardirektor gemacht worden war, hatte von der Reformpädagogik
aus, die sein Spezialgebiet war, Silvio Gesells ökonomische Reformideen
entdeckt. Bis 1916 - in diesem Jahr quittierte er seinen Rektorenposten¹³
- beeinflusste er eine ganze Lehrergeneration im Sinn der Reformpädagogik
und der Gesellschen Freiwirtschaftslehre. Es gelang ihm, Fritz Schwarz,
von dessen Intelligenz und sozialem Verantwortungsgefühl er besonders
viel hielt, für seine Projekte zu begeistern und nach Bern zu holen.
An der Erlachstrasse 5 sollte ein Haus gemietet werden und unter dem Namen
Pestalozzi-Fellenberg-Haus zu einer Stätte der pädagogischen
und ökonomischen Lebensreform werden. Es war die Zeit der grossen
sozialen Gegensätze, der klassenkämpferischen Auseinandersetzung,
des Generalstreiks. Schneider und Schwarz und weitere Gesinnungsgenossen
wollten zwischen Kapitalismus und Kommunismus einen dritten Weg suchen.
Die Leitlinie für ihre ökonomischen Reformideen fanden sie in
Silvio Gesells «natürlicher Wirtschaftsordnung».
Silvio Gesell
Silvio Gesell (1863 - 1930) war ein deutscher Kaufmann, der in Argentinien
durch den Handel mit zahnärztlichen Utensilien reich wurde. Da er
seine Waren aus Deutschland bezog, beobachtete er interessiert die Währungsschwankungen
and bemerkte, dass diese verheerende soziale Auswirkungen haben konnten.
Er kam zur Überzeugung, dass das an den Goldstandard gebundene Währungssystem
ein Betrug sei, dass die Völker von einigen Währungsspekulanten
um Milliardenbeträge betrogen würden.
Als Argentinien um die Jahrhundertwende auf einen scharfen Deflationskurs
einschwenkte, sah Gesell die dadurch ausgelöste Wirtschaftskrise
voraus and verkaufte sein Geschäft. Er kam mit seiner Familie in
die Schweiz and liess sich im neuenburgischen Les Hauts-Geneveys nieder.
Hier entwickelte er seine aus genauer Beobachtung der Geldströme
and Währungsmanipulationen gewonnenen Einsichten zu einem System
weiter, das er die «natürliche Wirtschaftsordnung»²¹
nannte.
Gesell glaubte, dass die Kreisläufe der Volkswirtschaft nach natürlichen
Gesetzen abliefen, solange die Menschen nicht durch künstliche Manipulationen
störend eingriffen. Als Triebkraft des Ganzen sah er das eigennützige
Interesse der Menschen, das sich bei fairen Wettbewerbsbedingungen zum
Nutzen des Volksganzen auswirke. Soweit war also Gesell einig mit den
Theoretikern des klassischen Liberalismus. Er machte aber einen gewichtigen
Vorbehalt: Die Voraussetzungen für den fairen Wettbewerb müssten
erst noch geschaffen werden.
Zweierlei gelte es zu verwirklichen: erstens ein Geld mit stabiler Kaufkraft,
das nicht als Wertaufbewahrungsmittel dienen kann, sondern nur als Zahlungsmittel
(Freigeld), und zweitens eine Bodenordnung, durch die das Privateigentum
an Boden aufgehoben wird. Boden darf nicht privat sein, weil er ein unvermehrbares
Gut ist. Der Boden muss verstaatlicht werden und darf an Private nur im
Nutzungsrecht abgegeben werden. Solchen Boden nannte Gesell Freiland.
Freiland und Freigeld bringen den ungerechten Zins zum Verschwinden, predigte
Gesell. Schneider und Schwarz aber glaubten, hier den «dritten Weg»
gefunden zu haben, denn Freigeld ist bester Liberalismus, Freiland aber
ist Sozialismus. Dass sie sich damit sozusagen zwischen Stuhl und Bank
setzten, merkten sie erst später.
Liberalsozialistische
Partei
Zum Freiland-Freigeld-Bund (später hiess er Freiwirtschaftsbund)
stiessen bekannte Persönlichkeiten wie der Basler Architekturprofessor
Hans Bernoulli, der Appenzeller Rechtsanwalt H. K. Sonderegger, der Lehrer
und Lebensreformer Werner Zimmermann und der Zürcher Primarlehrer
and Pazifist Werner Schmid. Fritz Schwarz war das Zentrum der Bewegung.
Unermüdlich war er tätig and warb für seinen Verein, denn
er musste davon leben and seine Familie ernähren. Es gelang ihm aber
kärglich genug. Die Reformbegeisterung, die in der unmittelbaren
Nachkriegszeit auch Teile des Bürgertums erfasst hatte, erlahmte;
mit Unterstützung aus diesen Kreisen war kaum noch zu rechnen. Und
von den SP Genossen wurde Schwarz ausgestossen.
Er publizierte, hielt Vorträge, schrieb Artikel. 1925 erschien sein
Hauptwerk, ein 260 Seiten starkes Buch mit dem Titel «Segen and
Fluch des Geldes in der Geschichte der Völker».
Dann kamen die Krisenjahre, kurzfristig erfolgreich für die Freiwirtschaftsbewegung.
Nach dem Krieg wurde der Freiwirtschaftsbund in eine politische Partei,
die Liberalsozialistische Partei der Schweiz¹¹, umgewandelt. Dank der Listenverbindung
mit dem Landesring gelang dem Zürcher Werner Schmid der Sprung in
den Nationalrat. Die Liberalsozialisten lancierten eine eidgenössische
Volksinitiative zur Erhaltung der Kaufkraft des Geldes. Diese wurde vom
Bundesrat in «Freigeldinitiative» umgetauft und von allen
Parteien bekämpft; in der Volksabstimmung 1951 wurde sie massiv abgelehnt. ¹²
Der Einzelkämpfer
Fritz Schwarz verzagte nicht. Als Einzelkämpfer sass er im Berner
Stadtrat und bis in sein Todesjahr 1958 im Grossen Rat. Seine letzten
Motionen im Grossen Rat formulierte er als freundliche Einladung an die
Regierung, sich vermehrt Gedanken über das Verhältnis zwischen
Vollbeschäftigung und Bodenpreissteigerung zu machen. Er sprach von
der schwierigen Position der Landwirtschaft und mancher »Gewerbezweige,
die nicht so billig wie die ausländische Konkurrenz produzieren könnten,
weil sie höhere Haus oder Bodenzinse berappen müssten. «Darum
sind wir auch gezwungen, landwirtschaftliche und andere Produkte in der
Schweiz von der ausländischen Konkurrenz durch Zölle zu schützen.
Immer sind die tieferen Ursachen bei der leidigen Bodenfrage zu suchen.»
Wenn Schwarz solches in Anwesenheit des Landwirtschaftdirektors Dewet
Buri vorbrachte, so hörte dieser freundlich zu und gab dem Herrn
Grossrat Schwarz grundsätzlich recht. Buri hatte ja in den dreissiger
Jahren als Jungbauer auch mit freiwirtschaftlichen Auffassungen sympathisiert,
aber inzwischen eingesehen, dass da eben Sachzwänge vorlagen: Da
war das anlagesuchende Kapital was wollte man dagegen? Der Boden war knapp,
also musste er teurer werden. Grossrat Schwarz hatte sein Anliegen nicht
als Auftrag, sondern nur als Einladung zur Prüfung von Massnahmen
gegen die Bodenspekulation formuliert. Also handle es sich eigentlich
um ein Postulat, meinte Regierungsrat Buri. Grossrat Schwarz sagte, pfiffig
lächelnd, ein gepflegtes Postulat sei soviel wert wie eine Motion,
and war sofort bereit, seine Motion in ein unverbindliches Postulat umzuwandeln.
Als solches wurde es dann diskussionslos vom Rat überwiesen und vom
Regierungsrat schubladisiert. Aber Fritz Schwarz kam wieder, machte seine
nächste Motion, verwies auf das seinerzeit überwiesene Postulat,
wandelte auf Begehren der Regierung seine Motion erneut in ein Postulat
um, worauf sie in dieser Form diskussionslos überwiesen wurde. Und
so weiter.
War es eine Art Eulenspiegelei? Schon möglich. Vielleicht wusste
Fritz Schwarz, dass er nur so vorbringen konnte, was eigentlich alle als
richtig erkannten, was aber allen widerstrebte, weil sie hofften, auch
noch ihren privaten Vorteil aus der allgemeinen Spekulation ziehen zu
können.
Tobias Kästli
(Der Bund, Samstag, 25. April 1987)
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