Fritz Schwarz, Abstinent und Alkoholpolitiker
Redaktor und
Grossrat, Bern, 1887-1958
Erinnerungen am 70. Geburtstag
Zu meinem 70. Geburtstag hatten
eine ganze Reihe meiner Zeitgenossen gute Ideen, um mir eine - unverdiente!
- Freude zu machen. Denn dass ich 70 Jahre alt geworden bin, das ging
ganz von selber und ich habe nichts dazu getan. Im Gegenteil ! Wie oft
habe ich hören müssen, so und so werde ich nicht alt werden.
Und schliesslich war ich selber dagegen und versuchte immer wieder jung
zu bleiben oder doch mindestens zu scheinen. Und heute früh schrieb
ich statt 1957 beim Datum 1887! Freuds Lehren sind heute Allgemeingut
geworden, so dass ich über die Bedeutung dieser Fehlhandlung kein
Wort zu verlieren brauche!
Ein Licht geht mir auf
Wenn ich, als Abstinent zurückblickend, mich frage, was das Gescheiteste
war, was mir im Leben zugefallen ist, so ist es der Entschluss, keine
alkoholischen Getränke zu geniessen. Den Anstoss dazu gaben das elektrische
Licht und ein Grammophon. «Wieso das?», haben schon viele
gefragt, wenn ich ihre Frage nach der Ursache meiner Abstinenz so beantwortete.
Ich hatte von einem neuen Licht gehört, das in der weit bekannten
Gastwirtschaft zur «Krone» in Zäziwil brenne, und in
meiner Neugier hatte ich es mir nicht verkneifen können, rund eine
Wegstunde vom Krautberg im Obertal ins Tal herabzugehen, um das Wunderlicht
- «lektrisches Licht» hiess es bei vielen! - zu sehen. Der
Wirt liess es mich anzünden. Dann durfte ich weiterdrehen, und -
schwupp! - war es weg. Darauf konnte ich nochmals drehen, und auch nochmals
auslöschen - wunderbar! Aber als ich weiterfahren wollte mit dem
Spiel, wehrte der alte Joss Fritz: «Ne nei! Du chönntisch mer's
süsch no verguege!» (verderben). Im Eilschritt ging's heim
zur Mutter, zur Berichterstattung über dieses Wunder. Am nächsten
Markt in Grosshöchstetten war wieder etwas Neues. Da hörte ich
von weitem eine Marschmusik aber ich sah keine, sondern die Musik schmetterte
ganz einfach auf einem grossen Trichter heraus ohne Männer! Der Inhaber
des Rieseninstruments zeigte uns zwei schwarze Rollen auf der einen sei
der Burenkrieg, auf der andern der Dreyfussprozess. Der Mann verkaufte
diese und andere ähnliche Möglichkeiten dadurch, dass man sich
zwei Hörröhrchen an Schläuchlein in die Ohren steckte;
der Trichter wurde abgestellt, und so ging's nur an die Zahlenden mit
den Röhrchen in den Ohren - 10 Rappen kostete das. Wunderbar! Ich
hatte noch nie französisch gehört und vernahm zum erstenmal
diese merkwürdigen Laute. Im Burenkrieg hörte ich die «Maximgeschütze»,
wie man damals die Maschinengewehre noch nannte, nebst Befehlen auf «burisch»
und auf englisch grossartig! Wieder ging's heim zum Familientisch und
zur Berichterstattung. Unser Gottfried, der Knecht, den ich bei der Aufzählung
der Familienmitglieder am ersten Schultag als meinen ältesten Bruder
angegeben hatte, was die Lehrerin leicht entrüstet korrigierte, meinte,
ich hätte besser eine Wurst gekauft für die 20 Rappen - ich
hätte mehr davon gehabt. Aber die Mutter entschied, damit hätte
ich etwas, das ich meiner Lebtag nie vergessen werde, während ich
die Wurst sofort vergessen hätte.
So ist es nun tatsächlich auch gekommen, wie man sieht. Aber der
Grund liegt tiefer. Gottfried, der 1889 aus der Metzgergasse in Bern zum
Kornhaus ging und sich dort von meinem Vater als Knecht dingen liess,
hatte eine für mich äusserst wichtige Liebhaberei: er kaufte
jedes Jahr alle Bauernkalender auf, die er erhalten konnte: den Appenzeller,
den Lahrer Hinkenden Boten, den Langnauer und so fort. Für das Jahr
1898 brachte er sogar den Blaukreuzkalender mit! Ich habe mir diesen Jahrgang
seither selber beschafft, und genau so, wie ich das in Erinnerung hatte,
fand ich dort das Bild des jungen Edison, «dieses klugen amerikanischen
Elektrikers», wie er dort genannt wurde. Und da fand ich auch einen
Satz, der für mich entscheidend geworden ist; Edison sagte: «Ich
trinke keine alkoholischen Getränke; ich muss mit meinem Ver stand
sorgsam umgehen. Denn dem menschlichen Gehirn Alkohol zuführen bedeutet
dasselbe, wie Sand in das Getriebe einer Maschine streuen. Beides bringt
die Arbeitsleistung zum Stillstand.»
«Bueb, da hast du recht»
Das stand da, und dazu noch ein ausgezeichneter Unterricht über das,
was « alkoholische Getränke» bedeuten. Ich lief wieder
zu meiner Mutter: «Mutter, ich will vormittags zum Znüni keinen
Most mehr trinken; ich nehme nichts, das macht mir gar nichts, oder ich
kann ja nachher Wasser trinken. Ich will keine alkoholischen Getränke
mehr geniessen.» Meine Mutter sah mich mit ihren grossen, treuen
Augen an und fragte misstrauisch: «Alkoholische Getränke? Was
ist das?» Worauf ich die erste Aufklärung in meinem Leben über
die Gefahren des Alkohols begann. Aber die Mutter unterbrach mich: «Aha,
du meinst den Weingeist!» Und nun hört, was diese damals etwa
55jährige Bauersfrau auf einem Emmentaler Heimwesen, 965 Meter über
Meer, sagte: «Bueb, da hast du recht! Tue das! Aber denke daran:
viele werden dich deswegen verspotten und dich auslachen. Da musst du
dich dann wehren! Und gehörig!» Dabei ballte sie die Hände
und schüttelte ihre Fäuste! (Meine Mutter war sehr energisch!)
Wenn ich daran denke, was heute wir Eltern oft für verknorzte Bedenken
und Ansichten haben, wenn unsere Kinder etwas von uns wollen, was uns
seltsam vorkommt und doch vernünftig wäre!
Mein ältester Bruder kam dazu und hörte, was ich wollte er war
damals 32 Jahre, ich bin der jüngste von 15 gewesen, er meinte: «S'ist
recht aber wenn du es etwa so machen willst, wie es gewisse Temperenzler
tun, nämlich aufhören und dann das Versäumte nachholen:
dann schlage ich dich wie einen Nusssack!» (Der Sack mit den Nüssen
wurde im Herbst in die «Räuki» gehängt und vor der
Weihnacht so stark geklopft, bis sich die Schalen von den Nüssen
gelöst hatten, daher diese Redensart.)
Wenige Tage später nahm mich meine Mutter zu einem Nachbarn mit,
dessen Bruder krank im Bett lag er hatte das Delirium tremens und starb
wenige Stunden nachher... Beim Heimgehen sagte die Mutter bloss:
«Siehst du so kommt es, wenn man zu viel trinkt. Vergiss diesen
Mann nicht!» Und fertig.
Politische Erfahrungen!
Jung war ich nicht so fanatisch gegen den Alkohol wie heute, wo ich auf
über vierzig Jahre in der Politik zurückblicke. Wir sollten
in Hermann Popperts «Helmut Harringa» das Kapitel «Wie
ich das wurde, was ich bin» ins heutige Deutsch übertragen
und es unseren Behördemitgliedern zustellen. Die Jahre meiner politischen
Tätigkeit haben mir oft, so oft! die Geschichte des Politikers in
Erinnerung gerufen, die da von Siivert Taaken erzählt wird, der nie
betrunken gesehen wird und den der Alkohol eben doch schädigt. Man
ahnt nicht, wie gross der Schaden ist, der durch die blosse Mässigkeit
entsteht. Und das hat meine gute Mutter, die einfache, sorgenbedrängte
Bauersfrau erkannt, und sie hat mir diese Schädigung erspart.
Fast nie habe ich ungern nein gesagt, wenn mir Wein angeboten wurde, so
zum Beispiel beim General, als wir wegen unseres Masson Prozesses bei
ihm vorsprechen durften. Es tat mir leid, den Winzer zu verletzen. In
der Regel aber habe ich mich gern, meist sogar sehr gern zur Abstinenz
bekannt. Damals kannte man erst die Temperenz, die «Abstinenz»,
wie man anfänglich oft hörte - einmal wurde ich sogar als «Assistent»
vorgestellt! - war noch eine seltene Sache. Vieles ist heute anders und
meistens besser geworden.
Ein hoher Gedanke
Die Moral von der Geschicht ? Sie wird in einem Satz von Carlyle sehr
schön dargelegt: «Es ist ein hoher, ein wunderschöner
Gedanke, dass alles, was wir tun, sich irgendwie, im Guten wie im Schlimmen,
weiter fortsetzt und dass nichts verloren geht, was wir beitragen, um
die Welt schöner und besser zu machen. Darum arbeite und wirke, ohne
Hast, aber auch ohne Rast!»
(Fritz Schwarz, Redaktor «Freies Volk»,
in "Junge Schweiz", Juni 1957)
(Siehe auch: Wenn ich an meine Jugend denke.
Eine Interpellation betr. den Trinkcomment
Grossrat Fritz Schwarz hat am
1. Juni 1950 seine 5. Legislaturperiode im Grossen Rat des Kantons Bern
mit einer Interpellation betr. den unerhörten Bubenstreich (Bund) alias
Studentenstreich* eröffnet.
Die Interpellation lautete wie folgt:
"Alle Freunde der Hochschule und unseres akademischen Nachwuchses achten
gute, alte, studentische Sitten und Bräuche. Aber die bekannte schwere
Verkehrsgefährdung Muri - Helvetiaplatz durch betrunkene Studenten
hat die Freunde der Universität erschreckt. weil sie erkennen mussten,
wie verhängnisvoll sich die heute noch herrschenden akademischen Trinksitten
im Zeitalter der Technik auswirken können. Wir müssen die systematische
alkoholische Vergiftung des akademischen Nachwuchs durch den studentischen
Trinkcomment, der bekanntlich auf den Feudalismus zurückgeht und in
keiner Weise mehr in die heutige Zeit hineinpasst, leider aber immer noch
systematisch gepflegt wird. Ist die Regierung nicht auch der Meinung, dass
gegen diese. von interessierten Kreisen gerne beschönigten, aber überlebten
und gefährlich gewordenen Trinksitten Gegenmassnahmen ergriffen werden
müssten ... nicht durch Zwang, sondern durch Belehrung, Aufklärung
und Vorbild. Anregungen dazu waren schon in meinem Postulat betr. Erneuerung
der Hochschule enthalten, das am 11. April 1940 im Grossen Rate von der
Regierung entgegengenommen und mit grosser Mehrheit erheblich erklärt
worden ist. Was gedenkt die Regierung in dieser Angelegenheit anzuordnen
und zu tun?"
Fritz Schwarz ist im Mai 1950 ehrenvoll wiedergewählt worden nicht
durch die Wucht einer hinter ihm stehenden Massenpartei, sondern als tapfere,
eigenwillige Persönlichkeit. Das verschafft ihm sine geistige Unabhängigkeit,
die leider Vertretern von Massenparteien, die auf alle mit der Partei verhängten
Interessen Rücksicht nehmen müssen, mehr und mehr fehlt. Die Wähler
wissen offensichtlich eine solche Haltung noch zu schätzen.
(Die Freiheit, 24. Juni 1950)
*Studenten
haben in der Nacht das "Blaue Bähnli" in Betrieb gesetzt.
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