Vorwort
Dieser Vortrag wurde während
der letzten Jahre in etwa fünfzehn deutschen Städten, darunter
auch Hamburg und Essen, gehalten, aber auch in vielen schweizerischen
Ortschaften. Zahlreiche Anfragen nach Angaben daraus oder nach dem Manuskript
veranlaßten schliesslich die Drucklegung.
Bei der Niederschrift ist eine
Streitschrift entstanden, aber mehr noch: ein Wirtschaftsprogramm. Eine
Streitschrift gegen die Fehler und Irrtümer des Marxismus, die ich
seit beinahe vierzig Jahren bekämpfe, ohne dass die Marxisten etwas
zugelernt hätten, ein Programm, von dem die Parteien längst
zu zehren begannen, und zwar sowohl von links wie von rechts her. "Die
neue Schweiz" der SPS und der Art. 31 quinquies der schweizerischen
Bundesverfassung, der "Massnahmen zur Verhütung von Wirtschaftskrisen"
verlangt, sind Marksteine diesen leider recht langsamen. aber doch unverkennbaren
Entwicklung zu einer neuen Synthese: zu einer Wirtschaft mit einem wirklichen
Liberalismus oder auch zu einem wirklichen Sozialismus - je nachdem wie
man einen Zustand der freien Wirtschaft bezeichnen will, der, im Gegensatz
zur heutigen, pseudoliberalen Wirtschaft, ausbeutungsfrei, zinsfrei,
ist.
Russland und die Satelliten
dieses Landes sind am weitesten von diesem Zustand entfernt, die Schweiz
und die Vereinigten Staaten kamen ihm bisher am nächsten.
Der Marxismus und der russische
Nationalismus tragen, neben dem Boden- und dem Geldmonopol in den sogenannten
kapitalistischen Ländern, die Schuld daran, dass wir dieses Ziel,
die ausbeutungslose Freiwirtschaft, noch nicht erreicht haben. Man muss
ihnen Zeit lassen. Aber man darf ihnen keine Ruhe lassen, den Kommunisten
nicht und den Kapitalisten nicht. Sonst machen sie eine Wüste aus
der ganzen Erde. Ein Stück weit sind sie schon gekommen. Daran rufen
wir jeden vernünftigen Menschen zur Hilfe auf.
Fritz Schwarz, Bern, Februar
1951
Unsere Aufgabe zwischen Ost
und West
Niemals würde ich es wagen,
über die Aufgabe Deutschlands zwischen Ost und West zu sprechen,
wenn nicht die Schweiz an der gleichen Aufgabe mitzuarbeiten hätte.
Was ich hier sage, das sage ich auch meinen Landsleuten in der Heimat.
Denn wir Menschen in Westeuropa haben ein gemeinsames Schicksal: entweder
schwingen wir uns auf zur Lösung der sozialen Frage oder wir gehen
an den letzten Auswirkungen des nächsten Krieges einem Tiefstand
entgegen, den wir uns kaum vorstellen können.
Die ewige Völkerwanderung
Ost-West
Der Bevölkerungsfluss
geht auf dem Erdball von Osten nach Westen - er folgt der Sonne. In den
Schweizer Städten, Dörfern, Kantonen und Gemeinden stellt man
das immer wieder fest, das Genfer, das Neuenburger und das Lausanner Telephonverzeichnis
enthält mehr deutsche als welsche Namen, und aus jedem Einwohnerverzeichnis
schweizerischer Gemeinden erkennt man, dass der Zuzug vom Osten her erfolgt
ist.
Dieser Zug von Osten nach Westen
geht auf zwei Grundregeln zurück, die sich in geschichtlicher Zeit
deutlich erkennen lassen.
Die erste Regel: Reiche Völker
haben weniger Kinder als arme Völker. Das zeigt sich auch innerhalb
der Völker selbst: die reichen Stände und Berufe haben weniger
Kinder als die ärmeren. Warum das so ist, kann ich Ihnen hier nicht
auseinandersetzen; Sie müssen sich mit der Feststellung und der Nachkontrolle
dieser Tatsache begnügen. Je reicher die Staaten, desto geringer
ihre Geburtenhäufigkeit, je ärmer die Staaten, desto höher
ihre Geburtenziffer (1).
(1)
Die Ursachen dieser Erscheinung wurden dargestellt in Fritz Schwarz, "Volksleben
oder Volkstod?", Bern, 1939.
Eine zweite Regel: Die Auswanderer den ärmeren Staaten wandern weniger
nach den Kolonien, sondern eher nach dichter besiedelten Ländern
aus. In der Stadt Paris lebten 1914 beim Kriegsausbruch mehr deutsche
als in allen deutschen Kolonien zusammen. In der Schweiz verdienten zwanzigmal
mehr Italiener ihr Brot als in allen italienischen Kolonien zusammen.
Die Japaner wanderten weder nach Korea noch ins Mandschukuo aus, sondern
mach San Franzisko, nach New York, ja selbst nach Südamerika
Reiche Länder ziehen
arme Völker an
Darum fielen die Mongolen in
die Ukraine ein, darum ziehen die Slawen nach Westen und darum wandern
Europäer nach Amerika. Die Goldfunde in Californien 1848 veranlassten
eine Völkerwanderung nach dem amerikanischen Westen, die sowohl der
Zahl der Wandernden als auch nach den durchwanderten Entfernungen die
europäische Völkerwanderung aus der Zeit von 375 bis nach 500
n. Chr. übertreffen!
Mit innerem Wohlstand gesättigte (saturierte) Staaten und Völker
suchen auf friedlichem Wege die Welt zu erobern. Sie streben nach einem
Weltbürgertum, einer "unteilbaren Welt", sie möchten
überall frei verkehren können. So hat die Schweiz 4,3 Millionen
Einwohner. Weil man sie seit 1945 aus der Krise fernhalten konnte, ist
hier der Wohlstand ausgebrochen". Die Schweiz hat keine Kolonien;
aber über 12 Prozent der Bevölkerung wohnen schon seit fünfzig
Jahren ausserhalb ihrer Landesgrenzen: 500000 von 4,3 Millionen Menschen.
Das ist der Beginn einer friedlichen Umspannung der ganzen Erde und der
Anfang eines Weltbürgertums. Diese Eroberung ist unblutig; es werden
keine Grenzen verlegt, sondern die Grenzen werden so weit als immer möglich
niederzulegen versucht. Das ist das Richtige.
Sollte eine ähnliche Entwicklung
sich nicht auch - aber im umgekehrten Sinne - in Russland zeigen, wenn
auch dort Wohlstandspolitik getrieben würde? Diese Frage sei gestellt;
sie kann nicht verneint werden, um so weniger, als Russland den Westen
bis 1939 so gut wie nie angegriffen hat - ausser der Westen habe Russland
selbst gerufen! Das war 1849 der Fall: damals haben die Habsburger die
Russen des Generals Paskewitsch bestellt und am 31. Juli bei Schässburg
die ungarischen Demokraten von ihnen zusammenschiessen lassen
Heute
wäre Österreich froh, ein wirklich demokratisches Ungarn zwischen
sich und Russland zu wissen
"Die
grosse Frage" ist überall die gleiche!
Die "grosse Frage" unserer Zeit und aller Zeiten ist die Frage
nach Gerechtigkeit im Wirtschafts- und Staatsleben. Der "Hunger und
Durst nach Gerechtigkeit" (Matth. 5, 6) ist das vorherrschendste
Gefühl bei allen Völkern und Menschen. "Die Gerechtigkeit
ist die Mathematik der Liebe", sagte Präsident Thomas G. Masaryk.
Aber sie ist mehr! Das Verlangen nach Gerechtigkeit ist wirklich ein genau
so peinigendes Gefühl wie Hunger und Durst. Der ganze Sinn der Messiasidee
ist die Verwirklichung der Gerechtigkeit. "Darum können wir
Juden auch nicht glauben, dass in Jesus der Messias gekommen sei, weil
das Wahrzeichen der Messias, die Gerechtigkeit, sich nicht verwirklicht
hat", schrieb mir ein Rabbiner. Welch furchtbare Anklage gegen uns
Christen und gegen die ganze christliche Welt!
Der Friede: Keine politische,
sondern eine moralische Frage
Nur mit der Gerechtigkeit wird
auch der Friede in und zwischen den Staaten verwirklicht werden. Der Friede
ist eine moralische Leistung, geboren aus seelischer Einsicht und Stärke.
"Der Friede ist kein politisches, sondern ein moralisches Problem"
(Kant) - er ist die Folge her Gerechtigkeit in Familie, Gemeinde und Staat.
Schon vor 2600 Jahren wusste das Jesaias: "Die Frucht der Gerechtigkeit
wird der Friede sein" (Jes. 32, 17).
Die Moral aber braucht, besonders
wenn und solange es noch unmoralische Menschen gibt, Einrichtungen und
Sicherungen und dazu die Mitarbeit der Gemeinwesen. Die richtige Moral
und die Lehre allein tuns nicht; es müssen die Einrichtungen des
Staates, die Gesetze und vor allem die Grundlagen der Wirtschaft so beschaffen
sein, dass das Richtige auch getan werden muss. Es darf nicht heissen,
wie es Jesus von den Priestern seiner Zeit sagen musste (Matth. 23, 2
u. 3): "Auf Moses Stuhl haben sich die Schriftgelehrten und Pharisäer
gesetzt Alles nun, was sie euch sagen, tut und befolget: aber nach ihres
Werken tut nicht, denn sie sagen es und tun es nicht". Ist es heute
wesentlich anders?
Die Folgen kirchlichen Versagens
Wo die Kirche nur lehrt, aber
selbst nicht entsprechend handelt, wo sie das Verlangen nach Gerechtigkeit
nicht stillt, da wird sie zur Rechenschaft gezogen.
In seiner Einführung zu
meiner Schrift "Vorwärts zur festen Kaufkraft des Geldes und
zur zinsbefreiten Wirtschaft" schrieb da der Erzbischof von Prag,
Dr. F. Kordac:
"Hier (auf dem Gebiet
des Geldes und des Zinses) muss die prüfende Sonde schleunigst
angesetzt werden. - Die Entwicklung, eigentlich die Zersetzung der Gesellschaft,
welche ihrer ewigen Grundlagen des Rechts und der Sittenordnung immer
mehr beraubt wird, schreitet mit Riesenschritten fort."
Wie klar hat dieser Mann aus
dem tschechischen Bauernvolke 1931 doch die Entwicklung vorausgesagt
Das Christentum hat - theoretisch
- das Recht auf Arbeit und das Recht auf den vollen, unverkürzten
Arbeitsertrag aufgestellt und die Arbeit als Voraussetzung von Einkommen
und Besitz erklärt (2). Der große schweizerische Bundesstaatslehrer,
Nationalrat und oberste Chef der schweizerischen Militärjustiz, Professor
Dr. jur. Carl Hilty, schrieb schon vor fünfzig Jahren in seinem Werke
"Glück" (dieses Buch wurde damals das meistverkaufte Buch
im deutschen Sprachgebiet):
"Und
wie die Sachen heutzutage in der Welt stehen, erscheint die Erwartung
gerechtfertigt, dass eine soziale Revolution auch wieder die dermalig
Arbeitenden zur herrschenden Klasse machen werde, gerade so wie diejenige
zu Anfang des 19. Jahrhunderts den tätigen Bürger über
den müssigen Adeligen und Geistlichen emporgehoben hat.
Wo immer dieser Bürger seither ein Müßiggänger
geworden ist, der, wie sein Vorgänger, bloss noch von seinen Renten,
d. h. von der Arbeit anderer leben will, wird er ebenfalls verschwinden
müssen. Die Zukunft gehört und die Herrschaft gebührt
zu allen Zeiten der Arbeit."
Hilty hat recht: So wird es
kommen!
(2) Siehe darüber Pfarrer E. Burri: "Wirtschaftliche
Gerechtigkeit. Was sagt die Bibel dazu?" Bern, 1938. E. Burri und
Fritz Schwarz: "Der Zins vom Standpunkt der Moral und der Wirtschaft"
2. Aufl., Bern, 1938. Pfarrer Dr. H. Eppler: "Die Autorität
der Bibel in wirtschaftlichen Fragen" Bern, 1936. Prof. Dr. theol.
Ude: Soziologie, 1931.
Die marxistische Scheinrevolution
Die Lösung der sozialen Frage wurde in der neueren Geschichte von
Karl Marx (1818-1883) und J. P. Proudhon (1809-1865) versucht. Marx überschrie
Proudhon, der auf dem richtigen Wege war. Marx erledigte Proudhon, ohne
selbst mehr als eine fürchterliche Verwirrung anzurichten.
Ein als unverdächtiger, ehrlicher und gewissenhafter Wahrheitssucher
bekannter Gelehrter, der Begründer und spätere Präsident
der Tschechoslowakei, Th. G. Masaryk, schrieb in dem umfangreichsten Werke,
das er je verfasst hat:
"Es
gibt vielleicht keinen einzigen, wichtigeren Satz im "Kapital",
zu dem sich nicht ein direkter Gegensatz oder wenigstens ein wieder
modifizierender Ausspruch finden liesse. Mir wenigstens scheint es,
dass im "Kapital" und seinen einzelnen Bänden nicht so
sehr die Unrichtigkeit, als vielmehr die Unbestimmtheit und Unfertigkeit
der Lehre auffällt. Aber das ist das Eigentümliche bei Marx,
dass er oft neben die unrichtige Ansicht eine bessere stellt und trotzdem
an der unrichtigen festhält" (3).
(3) Th. G. Masaryk:
"Die philosophischen und soziologischen Grundlagen des Marxismus,
Studien zur sozialen Frage." Wien, 1899 (1000 Seiten!)
Dieses Werk Masaryks aber ist,
nachdem die Sozialdemokraten in der Tschechoslowakei zu befehlen hatten,
aus dem Verzeichnis von Masaryks Schriften gestrichen worden! Mit Unterschlagungen,
mit Lug und Trug also musste dort das marxistische Erbe geschützt
werden! Einer geraden und ehrlichen Untersuchung hielt der Marxismus offenbar
nicht stand. - Begreiflich, denn Marx geht u. a. auch von der Voraussetzung
aus, das Geld sei eine Ware wie irgendeine andere Ware, es habe keinen
Vorzug vor anderen Waren! Aber dabei schreibt er selbst und es schreiben
es seine Anhänger, dass Gold und Silber ewig seien, aufbewahrt werden
könnten ohne Schaden durch Jahrhunderte, während selbst Getreide,
das verhältnismässig leicht aufzubewahren ist, jährlich
etwa 10% "Aufspeicherungsspesen" koste! Wo ist da die behauptete
Gleichheit ("Äquivalenz") zwischen Geld und Ware? Tatsächlich
weiß heute jedermann, dass das Geld leichter streiken kann als Ware,
dass es "thesauriert", d. h. gehamstert wird, und dass es damit
Produzenten wie Konsumenten in Verlegenheit bringt, den einen zwingt,
zu billig zu verkaufen, den anderen, teurer einzukaufen. Was durch dieses
Abwarten, durch den Geldstreik des Handels erzwungen wird, ist die Urform
des Zinses, wurde der Zins für das Handelskapital, und dieses ist
die älteste Form des Kapitals und des Zinses, wie die Kulturhistoriker
nachgewiesen haben
Marx war blind für das
Wesen des Geldes
Marx
schrieb ebenfalls ganz richtig, dass die älteste Form des Kapitals
das Handelskapital sei. Er stellte sogar fest, "dass dem Geld, unabhängig
vom Produktionsprozess, das Zinstragen als Eigenschaft eingewachsen"
sei (4). Aber diese richtige Einsicht hinderte ihn nicht daran, doch wieder
an der falschen Voraussetzung festzuhalten, der Zins könne nicht
im Handel,nicht im Warenaustausch entstehen! Und aus dieser von ihm selbst
später widerlegten, falschen Voraussetzung zog er den Schluß,
der Zins müsse in der Produktion entstehen, ein Irrtum, an dem heute
noch von den Sozialisten festgehalten wird. Dabei entging es Marx, dass
dies schon allein deshalb nicht stimmen kann, weil die Steigerung und
der ungestörte Fortgang der Produktion den Zins, die Rendite auf
die Dauer senkt - infolge der wachsenden Konkurrenz der Kapitalien! Denn
je mehr Häuser, Fabriken und Werkstätten erstellt, je mehr Ersparnisse
angeboten werden, desto tiefer sinkt der Zins. Die Produktion vermindert
auf die Dauer den Mehrwert, d. h. den Zins, die "kapitalistische
Ausbeutung". Die Produktion kann daher nicht die Ursache der kapitalistischen
Ausbeutung sein, denn die Verstärkung einer Ursache müsste auch
deren Folgen verstärken.
(4) Marx: "Das Kapital", Bd. 3, 1, S. 363. Hamburg,
1911.
Die Ursache der Ausbeutung
Die Ursache der Ausbeutung
liegt im Gegenteil in der Hemmung, in der Stockung der Produktion! Das
deutet Marx selbst auch wieder an! Ja, er behauptet sogar, dass man die
Ausbeutung, den Mehrwert oder den Zins beseitigen könnte, wenn "kein
natürliches oder künstliches Monopol eine der kontrahierenden
Seiten befähige, über dem Wert zu verkaufen oder sie zwinge,
unter dem Werte loszuschlagen". Gerade dieses "Losschlagen der
Ware unter ihrem Wert" aber wird mit Sicherheit durch das unbegrenzt
hamsterfähige Gold - und das Silbergeld erzwungen, sofern nicht infolge
Warenmangels die Preise mindestens 5-6% jährlich anziehen.
Nur bei Mangelwirtschaft also
funktionieren Gold und Silber als Geld ohne Störung der Zirkulation
und ohne Hemmung der Produktion - ein sehr bedenklicher Zustand! Marx
folgerte aber aus seiner irrtümlichen Voraussetzung, Ware und Geld
seien Äquivalente", dass der Besitz der Produktionsmittel
deren Inhaber zum Kapitalisten, zum Ausbeuter, zum Herrn der Welt mache.
Nach Marx wären also die Heimarbeiter (die ärmsten aller Arbeiter!),
die Handwerker und die Gewerbetreibenden die Ausbeuter und die Herren
dieser Welt. Warum? - Weil sie ja ihre Produktionsmittel selber besitzen:
Näh-, Strick- und Stickmaschinen, usw. Die Banken jedoch müssten
nach Marx völlig harmlose Einrichtungen sein, desgleichen die Börse
und die ganze Welt der Spekulanten. Denn selbst ein Morgan besitzt keine
"Produktionsmittel"; Rothschild wie Morgan wären nach Marx
arme Teufel - sie besitzen keine Produktionsmittel! Die ganze Gedankenakrobatik
von Karl Marx ist derart absurd und widerspruchsvoll, dass der schweizerische,
führende Sozialist Hermann Greulich bekannte, nach zehn Seiten Marx
hätte ihm der Kopf geraucht. Scheidemann berichtet, dass er jeweils
zum Bier gegangen wäre, wenn er bei seinen Marxstudien nicht mehr
weiter gekommen sei.
Dieser billige Ausweg war mir
als Abstinenten verschlossen. Als ich, zwanzig Jahre alt, mich der Sozialdemokratischen
Partei der Schweiz angeschlossen hatte, ging auch ich, um mit Oswald Spengler
zu sprechen, zuerst "gläubig hinter den vier dicken Bänden
von Marx' "Kapital" her, ohne zu wissen, was darin steht".
Mich interessierte mehr die sozialfürsorgerische und die Genossenschaftsarbeit.
Da kamen mir 1915 die Schriften von Dr. Th. Christen über die Währungsfrage
und später Silvio Gesells "Natürliche Wirtschaftsordnung"
in die Hand. Hier fand ich den Schlüssel zum Verständnis der
Wirtschaftsvorgänge und zur Lösung der sozialen Frage.
Friedrich Engels und die Lehre
von der Ausbeutung
Friedrich Engels, der als Mitglied
der Börse von Manchester die Vorzüge des leicht hamsterbaren
Geldes gegenüber den viel schwerer zu hamsternden Waren kannte, hat
in seiner Streitschrift gegen Dühring (5) die Rolle des Geldes treffend
dargestellt, sobald das Geld ohne Schaden gehamstert werden kann. Engels
schreibt über die Folgen des Metallgeldes - aber das heutige Papiergeld
wirkt sich genau gleich aus -, sobald man einen festen Preisstand innehalten
will, gegen Dühring:
"Herr Dühring kann
also nicht verhindern, dass die einen sich einen kleinen Geldschatz
zurücklegen, während die anderen mit dem ihnen gezahlten Lohn
nicht auskommen. Der Junggeselle lebt herrlich und in Freuden von seinen
acht oder zwölf Mark täglich, während der Witwer mit
acht unmündigen Kindern damit kümmerlich auskommt. Andererseits
aber lässt die Kommune, indem sie Geld ohne weiteres in Zahlung
nimmt, die Möglichkeit offen, dass dieses Geld anders als durch
eigene Arbeit erworben sei. Non olet. (Es stinkt nicht.) Sie weiß
nicht, woher es kommt. Hiermit sind aber alle Bedingungen gegeben, um
das Metallgeld, das bisher nur die Rolle einer Arbeitsmarke spielte,
in wirkliche Geldfunktion treten zu lassen. Es liegen vor die Gelegenheit
und das Motiv, einerseits zur Schatzbildung, andererseits zur Verschuldung.
Der Bedürftige borgt beim Schatzbildner. Das geborgte Geld, von
der Kommune in Zahlung genommen für Lebensmittel, wird damit wieder,
was es in der heutigen Gesellschaft ist, gesellschaftliche Inkarnation
der menschlichen Arbeit, wirkliches Mass der Arbeit, allgemeines Zirkulationsmittel.
Alle "Gesetze und Verwaltungsnormen" der Welt sind ebenso
ohnmächtig dagegen wie gegen das Einmaleins oder gegen die chemische
Zusammensetzung des Wassers. Und da der Schatzbildner in der Lage ist,
vom Bedürftigen Zinsen zu erzwingen, so ist mit dem als Geld fungierenden
Metallgeld auch der Zinswucher wiederhergestellt
Die Wucherer verwandeln sich in Händler mit dem Zirkulationsmittel,
in Bankiers, in Beherrscher des Zirkulationsmittels und des Weltgeldes,
damit in Beherrscher der Produktion, und damit in Beherrscher der Produktionsmittel,
mögen diese auch noch jahrelang dem Namen nach als Eigentum der
Wirtschafts- und Handelskommune figurieren. Damit sind aber die in Bankiers
übergegangenen Schatzbildner und Wucherer auch die Herren der Wirtschafts-
und Handelskommune selbst."
(5) Friedrich Engels: "Herrn
Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (Anti-Dühring)",
Verlag für fremdsprachliche Literatur Moskau, 1946, S. 378 u. f.
So hätte sich eigentlich
Friedrich Engels wie Eugen Düring ein Geld geradezu aufdrängen
müssen, das nicht ohne Gefahr von Verlusten gehamstert, zurückgehalten
werden konnte . . . Aber das geschah nicht. Engels stellte bloss fest:
Mit dem Gold landet man wieder im Kapitalismus!
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