Wenn ich an meine Jugend denke...Fritz
Schwarz, Wenn ich an meine Jugend denke Erinnerungen - Für die Freunde von Fritz Schwarz aus dem Nachlass als Fragment herausgegeben und durchgesehen von Elly Schwarz
Wenn
ich an meine Jugend denke, sehe ich Sonne - eine weite Hügellandschaft
voller Sonnenschein
Wenn ich an meine Jugend denke, sehe ich Sonne eine weite Hügellandschaft voller Sonnenschein. Über ein Tal hinüber sehe ich Berge: vom Pilatus bis zum Moléson eine geschlossene Kette im Halbkreis von Nordosten nach Südwesten. Nur im Osten hat die Natur ein Stückchen ausgespart: da blickt der kleine weiße Zuckerstock des Titlis hinüber ins Emmental. Ich sehe, wie diese Berge sich im Schein der Abendsonne röten. «E luegit dert äne die rote Höger!» (Seht dort drüben die roten Hügel!) rief ich als kleines Kind einmal, und meine Mutter hatte diesen Ausruf lebhaft im Gedächtnis behalten. Über dieser Welt, die gegen Norden durch den langgezogenen Kapfwald auf der Anhöhe abgeschirmt ist, liegt in meiner Erinnerung flimmernder Sonnenschein, strahlende Weite und unendliche Stille. Wenn am Abend die Sonne unterging, da leuchteten diese Berge auf, wurden darauf bleich und immer bleicher, bis sie, wenn es Vollmond war, die ganze Nacht wie mit Silberstift an den Himmel gezeichnet zu uns herübergrüßten. Wenn wir bis spät abends Gras mähten, wie das damals noch Brauch war, oder auch - der Vater hielt mehr auf das Mähen am frühen Morgen - um drei Uhr früh aufstanden, dann sahen die Berge unserem Tun still und friedlich zu. Nach fünf Uhr wurden sie von der Sonne beschienen und sahen dann ganz anders aus als sonst: sie zeigten Flächen, die ich vorher nie recht gesehen hatte, sie schienen auch viel lebendiger und fast eitel zu sein in ihrem Sonnenglanz von Osten her. |
Alle meine Verwandten, ausser einigen Lehrerinnen und Hebammen, sind Bauern oder Bauernfrauen geworden. Emil Ludwig, der bekannte Biograph, sagte zu einem Bekannten, nachdem er mich gesehen hatte, ich sei der Typus des richtigen Bauern, durch und durch bäuerlich veranlagt und geblieben. Wie bin ich dazu gekommen, meinen Stand zu verlassen, trotzdem ich der Jüngste war und nach dem emmentalischen Erbrecht daher auch der Hoferbe gewesen wäre? Das ist eine einfache Geschichte. Sie erklärt aber meine ganze Einstellung zum Leben. Das erste Kapitel meines Werkes "Segen und Fluch des Geldes in der Geschichte der Völker" ist ein Aufsatz aus der "Schulreform" mit dem Titel: "Zur Geschichte der Siebziger- und Achtzigerjahre". Das war kein Zufall, sondern war bedingt durch meine Jugenderlebnisse. Die allgemeine Einführung der Goldwährung traf zu Beginn der Siebzigerjahre mit der starken Abnahme der Goldfunde zusammen. Damit fehlte leider bei der damals eingeführten Goldwährung die Möglichkeit, genug Geld in Umlauf zu bringen, um die Preise zu halten. Denn weil das Geld fehlte, fehlten die Nachfragemöglichkeiten nach Waren und Arbeitskräften, und damit hatten wir fast zwanzig Jahre lang das, was wir heute Deflation nennen und was wir 1920 bis 1922 und von 1929 bis 1936 erlebt haben: eine Wirtschaftskrise von erschreckendem Ausmass. Die Preise sanken in Europa und Amerika von 1874 bis 1890 um mehr als 20 Prozent, und sie blieben auch nachher recht tief. Um 1850 und um 1906/07 standen die Preise in der damaligen Weltwirtschaft auf der gleichen Höhe. Von 1849 ab, in der Zeit der wachsenden Goldfunde in San Franzisko bis 1874 stiegen sie, sanken aber leider nachher wieder. Als 1889 neue Goldfunde gemacht worden waren, begannen sie zu steigen, aber erst 1907 hatten sie den Stand von 1850 wieder erreicht. Im Fernen Osten und in Indien aber stiegen auch von 1874 bis 1893 die Preise, denn dort hatte man die Silberwährung, und an Silber war kein Mangel, sondern Überfluss. Die Preise stiegen 1874 bis 1889 in Japan und Indien um zwanzig Prozent, und die Wirtschaft erlebte dort einen starken Aufschwung - in genau derselben Zeit, in welcher sie in Europa und Amerika allgemein um mehr als den gleichen Prozentsatz sanken. Von diesen Vorgängen wusste ich zwar nichts, aber ich spürte sie. Sie haben meine Jugend vergiftet, sie lehrten mich den Bauernstand und die bäuerliche Arbeit fürchten, sie haben mich krank gemacht und zur Flucht vom Hof veranlasst. Die Deflation 1874-1890 warf einen dunklen Schatten auf unser Familienleben. Daher hasste ich mein Leben lang die Deflation, die Krise und alles, was damit zusammenhängt. Unser nächster Nachbar hat damals Haus und Hof als Konkursit verlassen müssen. Weil ihm mein Vater Bürge gewesen war, blieb ihm nichts anderes übrig, als seinen Hof mit den Schulden zu übernehmen. Als ich 1903 ins Lehrerseminar eintrat, musste ich nachher oft eine Schweinsblase voll Gold- und Silbermünzen mit mir nach Bern nehmen, um sie dort beim Sachwalter eines grossen Gläubigers abzuliefern. Das war Geld, das wir für verkauftes Vieh, für abgelieferte Milch, für Kartoffeln und Obst erhalten hatten. Für mich hat damit das Wort "Zins" eine sehr reale Bedeutung bekommen. Es war mir nicht mehr ein inhaltloser Begriff: wohl lagen nicht gerade Blut und Tränen in diesem Wort, aber es bedeutete für uns um fünf Uhr Aufstehen, strengste Arbeit bis abends acht Uhr, sehr einfaches Essen und keine Freizeit ausser am Sonntagnachmittag bis halb fünf Uhr. Hinzu kam eine Kost, die nicht durchwegs zweckmässig war und die im Winter bei mir fast immer zu Frostschäden an den Füssen führte, so dass ich einmal, als sie besonders schwer waren, zehn Wochen lang meine Schuhe nicht anziehen und daher die Schule nicht besuchen konnte. Ich bin geneigt, an allem immer noch eine gute Seite zu suchen und zu sehen. Aber die Einsicht, dass meine Jugend unter Krise und Zins gelitten hat, dass diese wirtschaftlichen Zustände meine Jugend verdüstert und mir sogar schönes Wetter zum Schrecken gemacht haben, hat mich dazu geführt, mit zwanzig Jahren Sozialist, später Freiwirtschafter und stets erbitterter Gegner der Krisen- und Zinswirtschaft zu werden ...Als ich im Winter 1907/08
als junger Lehrer in Arni, mit Peter Grunder auf dem Ofen sitzend, politisierte
und, ganz natürlich, auf den Fall der Preise zu sprechen kam, meinte
der alte Bauer: In den neunziger
Jahren wurde der später von Dr.
Th. Christen so benannte "Eiweissaberglaube" auch ins Bernerland
hinausgetragen. Meine Schwestern besuchten Kochkurse und brachten grosse
Tabellen heim, die sie in meinem kleinen Schlafraum an der Wand befestigten.
Ich studierte sie und behielt einen Vers daraus: «Hülsenfrüchte,
Milchgerichte geben urgesundes Blut.» Ich las jedoch "ungesundes"
Blut und wollte mich deshalb einmal mit dieser Begründung gegen ein
Bohnengericht auflehnen, was natürlich einen Sturm der Heiterkeit
am Familientisch verursachte. Ausser diesem Spruch blieben mir auch die
Ausdrücke Eiweiss, Kohlehydrate und Fett im Gedächtnis haften,
denn meine Schwestern belehrten mich zum Beispiel, dass Eiweiss das Wichtigste
in der Ernährung sei und alles andere eigentlich Nebensache. So ergab
sich damals im Volk ohne weiteres die Nützlichkeitsreihe Fleisch
und Eier, Magerkäse und Milch. Gemüse war wenig oder nichts
wert, Fleisch und Eier alles, Fett aber war besonders wertvoll. Das wurde
auf dem Lande systematisch verbreitet. ...Überall unterhielten wir uns nach der Sitte mit den Leuten auf dem Felde. Man grüßte nämlich nicht nur, sondern sagte einige die Arbeit betreffende freundliche Worte wie «Hauts es?» (Schneidet es?), wenn sie mähten, oder «Gits ere (ihrer) viel?», wenn sie Kartoffeln gruben, und so fort. Da merkte ich, dass sie "'ei" aussprachen, statt wie wir jenen seltsamen Laut zwischen e und i, dass sie also nicht "nii" für nein, sondern "nei", auch nicht "hiit er" (habt ihr) und "wiit er" (wollt ihr), sondern "heit er" und "weit er" nicht "Hosi" und "Bohni", wie wir sagten, sondern "Hose" und "Bohne". Merkwürdigerweise kam mir das sehr vornehm vor; wir nannten es "herrehüngelig rede", das heißt reden wie ein Herrenhund, was nicht gerade freundlich war. Heute haben sich diese Eigenarten der verschiedenen Dialekte. besonders des Ober- und Unteremmentalischen noch immer nicht ausgeglichen, und auch die alte Witzfrage kann noch mit Erfolg gestellt werden: «Wie weit hinauf gehen die Beine?» Die Antwort lautet: «Bis nach Rüegsau, weiter oben gibt es nur noch "Scheichen"» (Schinken, ein grober Ausdruck für Beine). Wenn ich später nach Hause, in mein Elternhaus, telefonierte, so merkte das meine Frau sofort: ich stellte auf meinen Jugenddialekt um, den ich hier in Bern ja nicht brauchen kann, ohne aufzufallen. Das Stadtberndeutsch ist für mich noch immer ein wenig "herrehüngelig" oder auch "herrschelig", die Sprache der "Herren und Oberen". ("Was isch de eigetlech Bärndütsch?".) ...Er gehörte
zu jenen freisinnigen Bauern, deren es 1903, fünfzehn Jahre vor der
Gründung der Bernischen Bauern- und Bürgerpartei, noch viele
gab. Als freisinniger Gemeinderat war er sehr aktiv. Deshalb lasen wir
auch das freisinnige 'Emmenthaler Blatt' und nicht den 'Münsiger
Sturm', wie man die heute so gut redigierten 'Emmentaler Nachrichten'
respektlos betitelte. Vollends schlecht angeschrieben waren bei uns Ulrich
Dürrenmatt und seine 'Buchsi Zytig'. Mein erstes politisches Lied,
das ich mit Begeisterung sang und dadurch die Konservativen ärgerte,
lernte ich bei einem Kampf um die Bundesbahnen, wo die Freisinnigen dafür,
Ulrich Dürrenmatt aber dagegen war. So sang ich nach der Melodie
des Berner Marsches: Etwas unvermittelt drängt sich mir hier noch eine andere Erinnerung auf: einmal besuchte uns ein Stadtberner mit seiner Frau, und legte, als er vor unserem Hause die Aussicht bewunderte, seinen Arm ganz leicht um sie. Als ich das sah, lief ich davon, um meine Schwestern zu holen. Wir besahen das Wunder aus einem sicheren Versteck, stiessen einander an und schüttelten die Köpfe so etwas! Ich habe in meiner doch so schönen Jugend nie einen Kuss bekommen und auch nie einen geben müssen. Dabei war ich durchaus nicht etwa ein Kind, das niemanden liebte und unfreundlich war im Gegenteil. Die Besucher rühmten mich, fanden mich durchaus normal, ich galt als ein "liebes Kind" und wurde von den Besuchern verwöhnt aber geküsst wurde nun einmal nicht. Über Fritz SchwarzIn der zweiten Auflage (GS-Verlag Bern) finden sich biographische Angaben und Würdigungen:Dies sind die Jugenderinnerungen eines Mannes, der weit über die Grenzen seines Heimatkantons Bern hinaus bekannt und beliebt war: Fritz Schwarz (1887-1958). Der spätere Politiker wurde als fünfzehntes Kind einer Emmentaler Bauernfamilie geboren. Was das bedeutet, schildert er ebenso anschaulich wie seine erste Begegnung mit dem elektrischen Licht oder Skiläufern. Dank seiner Intelligenz gelang es Fritz Schwarz, ins Lehrerseminar Hofwil aufgenommen zu werden, obwohl er nur die Primarschule besucht hatte. Er berichtet noch von seinen Erfahrungen als junger Lehrer, dann brechen die Erinnerungen ab. Die Erfüllung der täglichen Pflichten als Redaktor und Politiker war ihm wichtiger als das Schreiben seiner Biographie. 1973 publizierte Nationalrat Werner Schmid das Buch «Fritz Schwarz - Lebensbild eines Volksfreundes». Darin wird die Persönlichkeit von Fritz Schwarz gewürdigt, der einer der wichtigsten Repräsentanten der Wirtschaftslehre von Silvio Gesell gewesen war. Manche der damals umstrittenen freiwirtschaftlichen Thesen, wie beispielsweise die Freigabe der Wechselkurse, wurden Jahrzehnte später übernommen. Fritz Schwarz war auch ein Vorkämpfer für das Frauenstimmrecht und für ein modernes Bodenrecht. Seinen Idealismus bewies er als Verleger von C.A. Looslis Büchern «Mys Aemmitaw», «Jaldabaot», «Ich schweige nicht» und vielen andern. Zu seinem 70. Geburtstag schrieb ihm C.A. Loosli: «Zur Zeit, da ich, in Acht und Bann stehend, in denkbar schlimmster Notlage, meine schriftstellerische Tätigkeit unheilbar gefährdet sah, haben Sie, Sie allein, den Mut aufgebracht, mich Verfemten zu verlegen und mir damit zu ermöglichen, weiter zu schaffen und zu leben. Aber auch ihr schriftstellerisches Wirken, wie ihre politische Tätigkeit, haben mich stets aufs Neue erquickt und bereichert.» «Fritz Schwarz darf nicht in Vergessenheit geraten. Er hat uns
gezeigt, wie man ein Leben lang kämpfen kann, ohne streitsüchtig
zu werden; wie man in Parlamenten Schlachten ausficht, ohne die Toleranz
zu verlieren. Er stritt für eine hohe Sache, stand meist auf verlorenem
Posten und bewahrte sich eine zarte Fröhlichkeit. Was er einst lebte,
müsste in unserer vermeintlich hoffnungslosen Zeit neu erlernt werden.
Seine Jugenderinnerungen blenden liebevoll in eine Vergangenheit zurück,
aus der wir noch lange Nutzen ziehen können.» «Fritz Schwarz war eine Persönlichkeit, die man nicht vergisst.» «Hätten wir mehr von solchem Holz, es sähe besser aus
im Schweizerland.» Erst nach seinem Tode gab die Witwe des bernischen Redaktors und Politikers
Fritz Schwarz (1887-1958) dessen Jugenderinnerungen im Pestalozzi-Fellenberg-Verlag
heraus. Sie umfassen die ersten 22 Lebensjahre und sind vergriffen. Die
Guten Schriften Bern schätzen sich glücklich, sie neu verlegen
zu dürfen. Damit kann die Reihe persönlicher Erlebnisse jener
Autoren fortgesetzt werden, die mit Verstand und Herz aufgezeichnet haben,
was sie bewegte und prägte. Carl Albert Loosli und Fritz Schwarz An die Redaktion des "Freien Volks", Bern, 9. 4. 1947. "Zur Zeit da ich geächtet und mir jede Möglichkeit verschlossen war, ein freies Wort an die Öffentlichkeit zu richten, war es Fritz Schwarz, der mich mutig, entschlossen, uneigennützig verlegte. Er ermöglichte mir, für die verwahrloste, gequälte Jugend einzustehen und so manches zu veröffentlichen, das anders in meinem Schreibtisch vergilbt wäre. So "Die schlimmen Juden", "Jaldabaoth", "Sansons Gehilfe" und, wie berührt, namentlich meine Anstaltsbücher. Dafür bin ich ihm zu unauslöschlichem Dank verpflichtet und entbiete ihm zu seinem 60.Geburtstag meine tiefgefühlten, besten Wünsche in unverbrüchlicher Freundschaft." Über seine Auseinandersetzung mit Freiwirtschaft, Marxismus, Sozialismus und Kapitalismus schrieb er in "Fritz Schwarz: Kampf dem Kommunismus!" |
Die Seite
"Fritz Schwarz" enthält folgende Kapitel: Inhaltsverzeichnis mit Kurzbiographie /index.htm Lebenslauf eines Schülers von Ernst Schneider Wanderprediger für Freiland und Freigeld (Nachruf im "Bund") Wenn ich an meine Jugend denke, Auszug aus den Erinnerungen (hier) Kampf dem Kommunismus, Vortrag in Deutschland von 1951 Fritz Schwarz, Abstinent und Alkoholpolitiker Der schweizerische Bauernkrieg von 1653 (aus "Segen und Fluch des Geldes in der Geschichte der Völker" Das Pestalozzi-Fellenberg-Haus in Bern ab 1925 Das Experiment von Wörgl Zum 50. Todestag von Fritz Schwarz Erhältliche Bücher von Fritz Schwarz
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Ruth Binde-Schwarz, Zürich. http://fwww.fritzschwarz.ch/ - info(at)fritzschwarz.ch 22/06/10 |